Redebeitrag

der Stadtverordneten Brigitte Forßbohm in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 17. Mai 2023 zur TOI-TOP6: „Nachhaltiger und leistbarer Wohnungsbau in Wiesbaden zukunftssicher aufstellen – Wiesbadener Baulandbeschluss vorbereiten“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

Stadtverordnete bin ich seit März 2016. Mein Interesse an einer „Stadt für alle“, an einer den Bedürfnissen der hier lebenden Menschen orientierten Stadtentwicklung, stieß mich sehr schnell auf das vordringliche – für viele Menschen existentielle –, Problem des Mangels an bezahlbaren Wohnungen. Obwohl damals schon klar war, dass hier ein dringender Handlungsbedarf besteht, war dennoch keine Lösung der Wohnungsfrage in Sicht. Nach der Devise: "Bauen, bauen, bauen" entstanden und entstehen immer noch Hunderte teure Miet- und Eigentumswohnungen, so nördlich der Rudolfstraße, seitlich des Schlossparks, in der Wilhelmstraße und am Kureck. Es wurden Wohnungen gebaut und geplant, die von dem Ziel, den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für die hier lebenden Menschen zu decken, weit entfernt sind. Sie dienen als Kapitalanlagen und stellen ein Angebot an eine zahlungskräftige Klientel aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus dar.

 

Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch daran, was los war, als ich 2016 im Planungsausschuss den Antrag der Fraktion Linke & Piraten einbrachte, in Erbenheim Süd 30% – statt der vorgesehenen 15% – Sozialwohnungen zu bauen und dieser Antrag auch noch eine Mehrheit fand. Das hätte dort 140 statt nur 70 geförderte Wohnungen bedeutet! Der Beschluss wurde dann in der Stadtverordnetenversammlung von der Großen Koalition unter großem Wortgetöse gekippt.

Im März 2017 kam es dann zu einem Beschluss, nachdem die LH Wiesbaden als Zielgröße von den insgesamt angestrebten 1200 Wohnungen im Jahr 400 als geförderte realisieren sollte. Dies ließ sich aber erwartungsgemäß mit der Zielvorgabe von 22% geförderten Wohnungen bei Neubauprojekten von mehr als 60 Wohneinheiten nicht ansatzweise verwirklichen, zumal dem obendrein etliche Ausnahmeregelungen entgegenstanden.

So wurde die von der CDU verbal immer wieder bemühte „soziale Mischung“ – dass hier für sie, in Baugebieten möglichst wenige geforderte Wohnungen bereitzustellen, auch noch dadurch unterlaufen, dass Investoren die geforderten Sozialwohnungen an beliebiger Stelle errichten oder sich durch Zahlungen in einen Wohnbaufonds freikaufen konnten. So wurde die soziale Spaltung in so

genannte gute, mittlere und billige, meist stark verkehrsbelastete, Wohnlagen weiter vertieft.

 

In der Folge der verfehlten Wohnungspolitik der vergangenen Wahlperioden gibt es erheblich „Nachholbedarfe“. 2795 „Bewerberhaushalte“ für eine geförderte Wohnung waren beim Amt für Soziale Arbeit der LH Wiesbaden am 01.09.2021

registriert.

 

Wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt:

• Sind mindestens 50% der Wiesbadener Haushalte aufgrund ihres Einkommens berechtigt, eine Sozialwohnung zu beziehen und können sich vor allem im Fall von Zuzug oder Umzug auf dem Wiesbadener Wohnungsmarkt angesichts immer weiter steigernder Mieten nicht adäquat versorgen.

• 57,5 % der Mieterhaushalte wenden schon mehr als 30% ihres Einkommens und 32,5 % mehr als 40% ihres Einkommens für Wohnkosten auf. Bei 8,1% der Mieterhaushalte ist die Wohnung zu klein. Die Mieten bei komplett renovierten Wohnungen oder bei Erstbezug sind seit 2010 um ca. 40 Prozent gestiegen. Das trifft auf die Bestandsmieten zum Glück nicht zu. Davon profitieren allerdings nur Haushalte, die schon langer eine Wohnung haben. Das heißt bei jeder Wohnraumveränderung, sei es durch Familienzuwachs oder Trennung, ist die Gefahr eines enormen Anstiegs der Mietkosten gegeben, so resümiert die Studie zur Wohnraumversorgung in Wiesbaden 2021. Dabei sinkt die Zahl der „Sozialwohnungen“ immer weiter, weil jährlich mehr Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen als neue gebaut werden. Der heute vorliegende Antrag der Kooperation leitet eine radikale Kehrtwende in der Wohnungspolitik der Landeshauptstadt Wiesbaden ein, wenn die Quoten zum Bau an geforderten Wohnungen dahingehend geregelt werden, dass sowohl für städtische Gesellschaften als auch für private Investoren bei Bauprojekten gleichermaßen ein Anteil von 40 Prozent gefordertem Wohnraum für geringe und mittlere Einkommen gelten soll. Aber auch frei finanzierte Wohnungen sollen im Interesse bezahlbaren Wohnens künftig zu 30 Prozent einen förderfähigen Zuschnitt haben, um auch in diesem Bereich über die Quadratmeterzahl bezahlbaren Wohnraum anbieten zu können.

 

Der Antrag greift auch den wachsenden gesellschaftlichen Wunsch nach neuen, der Lebenssituation angepassten, Wohnformen auf und stellt die Aufgabe, Gemeinschaftliches Wohnen in Baugruppen, Baugenossenschaften und Mietmodellen im Rahmen von Konzeptverfahren zu integrieren. Die Grundstücksvergabe soll transparent und sozial verträglich, u.a. durch die Vergabe im Erbbaurecht und im Rahmen von bereits erarbeiteten Regeln zu Konzeptverfahren, erfolgen. Sicher werden auch mit den heutigen Beschlüssen die Wohnungsprobleme in Wiesbaden nicht von heute auf morgen beseitigt werden. Sie eröffnen aber eine Perspektive für eine soziale Wohnraumversorgung in Wiesbaden und stellen Aufgaben,