Redebeitrag

des Stadtverordneten Hartmut Bohrer in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 17. Mai 2023 zur TOI-TOP 12: „Ostfeld – Akzeptanzmanagement jetzt!“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

CDU und FDP deuten in ihrem Antrag die immer noch offenen Fragen zaghaft an. Sie fordern einen “Runden Tisch”, um tragfähige Lösungen für möglichst alle Beteiligten zu finden. Dazu stellt die Fraktion DIE LINKE. fest: Das ist völlig unrealistisch. Es wird keine tragfähige Lösung mit der SEM (Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme) Ostfeld/Kalkofen geben - zumindest keine, die für die Mehrheit der Menschen in Wiesbaden tragfähig wäre. Warum nicht?

 

1) Die SEM wird die Finanzkraft dieser Stadt nachhaltig schwächen. Das ist angesichts einer sehr angespannten Haushaltslage besonders schlecht. Die Planer gingen bei der letzten KoFi (Kosten- und Finanzierungsübersicht) - im Mai 2022 - davon aus, dass Investitionen in die technische und soziale Infrastruktur für diese Bebauung in einem Landschaftsschutzgebiet in der gigantischen Höhe von über 770 Millionen notwendig sind und letztlich ein Defizit von 113 Millionen bleibt, das durch die Stadt zu tragen ist -  ohne dass nur ein einziger Euro für soziale Wohnungsbauförderung ausgegeben wurde. Das käme “obendrauf”.

 

Dabei umfasst die KoFi nur teilweise die für die Bebauung notwendigen Infrastrukturkosten, indem zum Beispiel neuerdings ein Teil des Bedarfs an Schulplätzen keine Berücksichtigung findet. Die notwendigen Ausgaben bis zum Maßnahmeende 2037 werden allen Ernstes mit 2,25 % p.a. inflationiert. Dies ist völlig realitätsfremd. Wir haben aktuell im Baugewerbe Kostensteigerungen pro Jahr in zweistelliger Höhe - schon vor dem Ukrainekrieg und vor der Energiekrise. Die Kosten werden eher noch schneller steigen, wenn die Zinssätze weiter steigen und wenn die Umstellung auf erneuerbare Energien rechtlich verbindlich wird.

 

2) Auch fehlen die Kosten für die rechtlich vorgeschriebene Schienenanbindung, insbesondere für das auf Kasteler Gemarkung geplante Wohn- und Gewerbegebiet für 10.000 oder mehr Menschen und mehrere 1000 Arbeitsplätze. Von daher ist es durchsichtig, wenn eine aktualisierte KoFi nun bis zum Dezember hinausgezögert werden soll. Wer bezahlbaren Wohnraum bereitstellen möchte, der muss die Fördermittel preisbewusst (an anderer Stelle) einsetzen und darf sie nicht durch ein gigantisches Defizit im Ostfeld schmälern.

 

3) Das Gesagte langt schon, endlich den Ausstieg aus der SEM zu vollziehen. Aber auch der Sachstand, bei den zaghaft angesprochenen Fragen, machen einen sofortigen Ausstieg notwendig - so zum Beispiel die völlig offene Frage, wie eine Schienenanbindung aussehen soll, die unter anderem eine Autobahn zu queren hat. Und das nach mehreren Jahren Planungszeit.

 

4) Auch die Frage, in welchem Maße eine Bebauung angesichts des nahen Militärflugplatzes überhaupt möglich ist, ist seit 2018 bekannt, aber ungeklärt.

Der Flugbetrieb mit Triebstrahlflugzeugen erfordert ein Lärmgutachten, zu dem die BIma im Februar 2019 mitteilte: “Allerdings würde nach Dafürhalten der US-Streitkräfte ein solches Gutachten klar die Unvereinbarkeit der geplanten Wohn- und Gewerbebebauung mit dem Flugbetrieb verdeutlichen.” Auch wird erklärt, “dass die US-Streitkräfte nicht bereit sind, den Betrieb auf ihrer Liegenschaft einzuschränken oder zu verändern. Seit über fünf Jahren gibt es immer noch kein solches Gutachten.

 

5) Nicht tiefer eingehen möchte ich auf die Tatsache, dass ein Landschaftsschutzgebiet bebaut, landwirtschaftlich genutzte, naturnahe Flächen für immer zerstört werden mit all den negativen Auswirkungen auf die regionale Landwirtschaft, auf gefährdete Arten und die Feldlerche und auf die Klimasituation für die Menschen in den benachbarten Stadtteilen. Zum Klima sei nur in Erinnerung gerufen, dass in der städtischen Klimaschutzkarte festgestellt wird, dass zur Bebauung vorgesehene Flächen von jeglicher Bebauung frei zu halten sind aufgrund ihrer großen Bedeutung für die nächtliche Kaltluftproduktion und -zufuhr - insbesondere in den in den nächsten Jahren zunehmenden tropischen Nächten mit wachsenden Temperaturen. Die Gesundheit und das Wohlergehen der betroffenen Menschen sind hohe und schützenswerte Güter, die die Befürworter der Bebauung offensichtlich nicht beachten. Die Missachtung der Umwelt-, Natur- und Klimaschutzgründe sind kaum zu verstehen angesichts der alltäglichen Berichterstattung über Warnungen von Seiten der Wissenschaft.

 

6) Obwohl mehrere tausend Wohnungen in den letzten Jahren gebaut wurden, und z.B. alleine in der Wiesbadener Straße in Mainz Kastel und in der Kostheimer Landstraße in den nächsten fünf Jahren über 2000 Wohnungen entstehen werden, wird so getan, als sei der Wohnungsbau im Landschaftsschutzgebiet alternativlos. Begründet wird dies mit einem angeblichen Bevölkerungszuwachs von mehreren 10.000 Menschen in Wiesbaden.  Die vor kurzem veröffentlichte staatliche Bevölkerungsprognose des Hessischen Statistischen Landesamts besagt, dass bereits ab 2025 die Bevölkerung Wiesbaden abnehmen wird durch einen wachsenden Sterbeüberschuss, der nicht durch Zuzüge ausgeglichen wird.

 

7) Es wurden bereits Millionen ausgegeben für die SEM, alleine über 700.000  Euro für rechtliche Beratung und über 300.000 Euro für so genannte Öffentlichkeitsarbeit. Von einer Bürgerbeteiligung, die im April 2019 beendet wurde, konnte nicht ernsthaft die Rede sein.

 

8) Ich resümiere: Stellen Sie die Planungen zur SEM umgehend ein, beenden Sie die Gerichtsprozesse, verschwenden Sie nicht weiter öffentliche Gelder für diesen Irrweg!