Redebeitrag

des Stadtverordneten Daniel Winter in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 02. November zu TOI-TOP8: „Verzicht auf einen Strafantrag bei der Erschleichung von Beförderungsleistungen“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

 

rund die Hälfte aller Haftstrafen in Deutschland sind Ersatzfreiheitsstrafen. Menschen sitzen also in Gefängnissen, weil sie einen Strafbefehl nicht bezahlen können.

Unter anderem und in einer Vielzahl wegen Leistungsbeförderungserschleichungen. Deliktisch zumeist mit sehr geringen Vermögensschäden verbunden.

 

Aus guten Gründen sprechen sich zwei Drittel der BundesbürgerInnen für eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit aus. Aus guten Gründen plant Bundesjustizminister Buschmann von der FDP eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit. Nicht zuletzt, weil es sich um ein Delikt handelt, dass 1935 von der NSDAP in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde. Zusammenfassend ist also festzustellen, dass es sowohl gesellschaftlich wie auch ein parteipolitisch eine sehr hohe Zustimmung zur Abschaffung des § 265a StGB gibt. Jetzt können wir in diesem Haus nicht das Strafgesetzbuch reformieren, aber trotzdem ganz konkret einen Beitrag leisten, die ungerechten und unsozialen Folgen zu mindern.

 

Vor diesem Hintergrund wollen wir das Prüfpersonal von ESWE-Verkehr anweisen, beim Antreffen ohne Fahrschein keine Strafanzeige mehr vorzulegen. Wir haben das selbstverständlich vorab vom Rechtsamt prüfen lassen. Beim Feststellen einer Beförderungserschleichung wird dann nur noch das erhöhte Entgelt von 60 Euro erhoben. Dieses muss natürlich erhalten bleiben.

Wir werden politisch keine Anreize setzen den Busverkehr ohne Fahrschein zu nutzen, nicht zuletzt, weil ESWE auf die Umsatzerlöse zur Finanzierung des Fahrbetriebs angewiesen ist.

 

Zugleich hat der Verzicht auf Strafanzeigen nur Vorteile.Wir reduzieren den Verwaltungsaufwand bei ESWE-Verkehr, das Personal auch im Verwaltungsbereich wird an anderen Stellen ebenfalls dringend benötigt. Beispielsweise bei der Verfolgung des Busspurparkens.ESWE-Verkehr selbst entsteht kein wirtschaftlicher Verlust.

 

Polizei und Staatsanwaltschaften arbeiten am Limit, Akten bleiben mitunter jahrelang unbearbeitet. Das steht dem grundsätzlichen Ziel einer zeitnahen Verfolgung von Straftätern, auch im Sinne einer Verhinderungsvorsorge, entgegen. Wir schaffen daher auch hier Ressourcen bei der wichtigen Präventionsarbeit und bei der Verfolgung echter Eigentumskriminalität- (Steuerbetrug, Geldwäsche, Untreue, Insolvenzverschleppung - um nur einige wirklich relevanter Delikte zu nennen.

 

Vor allem aber entkriminalisieren wir die Inanspruchnahme des Grundbedürfnisses auf Mobilität.

Auch in unserer reichen Stadt gibt es viel zu viele Menschen die sich z.B. 49 Ticket nicht leisten können. Weil sie fürchten, dass genau diese 50 Euro am Ende des Monats fehlen. Oder die sich einen Einzelfahrschein für 3,30 Euro aus anderen finanziellen Nöten einsparen und trotzdem mobil sein müssen. Für Termine beim Arzt oder beim Jobcenter.

 

Diese Menschen zusätzlich zum erhöhten Beförderungsentgelt noch im Rahmen der Nichtzahlung eines weiteren Strafbefehls einzusperren ist schlicht unsozial und läuft der Strafzwecktheorie der Resozialisierung von Menschen zuwider. Im schlimmsten Fall wird genau das Gegenteil erzielt.

Gerade junge oder arme Menschen werden aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen.

Vielleicht haben diese Menschen gerade eine Ausbildung begonnen oder befinden sich in der Probezeit. Vielleicht knüpfen sie aber auch im Gefängnis genau die falschen Kontakte.  Kriminologisch herrscht weitgehend Einigkeit: Ein übermäßiger Freiheitsentzug spiegelt am Ende nur das gesellschaftliche Versagen im Bereich der Sozialpolitik wider. Als Beispiel seien die USA genannt.

 

 

Gerne noch ein kurzes Gedankenexperiment. Wir alle kennen die sogenannten Parkscheibendreher.

Also Menschen die ihren PKW im bewirtschafteten Raum abstellen, eine öffentliche Dienstleistung in Anspruch nehmen. Doch anstatt zu zahlen, werden alle zwei Stunden die Parkscheiben weitergedreht. Streng genommen kein Unterschied zur Busnutzung ohne Fahrschein

Nur stellt ersteres nach der herrschenden Meinung rechtlich lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar, während letzteres eine Straftat mit der möglichen Folge der Inhaftierung nach sich zieht.

Und ich glaube wir sind uns in diesem Haus alle einig, dass wir niemanden wegen Parkscheibendrehens in letzter Konsequenz inhaftieren wollen.

 

Kurz noch zu Multimillionär und dem verurteilten Steuerbetrüger Uli Hoeneß. Dieser hat die öffentlichen Haushalte um mindestens 28.5 Mio. Euro betrogen. Geld das der öffentlichen Hand gefehlt hat. Für Kita-Plätze, Schulsanierungen, Schwimmbäder, beim Busverkehr.

Dinge, über die wir in diesem Haus regelmäßig und gerne streiten. Zumeist wegen des Geldes. Im geschlossenen Vollzug hat Hoeneß genau sechs Monate gesessen, danach hat er wieder sämtliche Privilegien genossen, Freigang, selbst Arbeitsstunden durften beim FC Bayern abgeleistet werden.

Das macht also pro Tag geschlossenem Vollzug eine inkriminierte Summe von 156.000 Euro.

Wie absurd und ungerecht ist es daher Menschen für 3,30 wegschließen zu wollen.

Nehmen wir die Causa Hoeneß als Maßstab dann können wir den Riegel gar nicht so schnell zuschließen, wie wir wieder öffnen müssen.

 

Gehen wir in Wiesbaden daher mutig voran, setzen wir ein Zeichen. Dass wir eine gerechte Stadt sind, dass wir an der Seite der Schwächsten stehen. Heute in Wiesbaden und in Kürze, mit Unterstützung der FDP, hoffentlich bundesweit. Denn: Armut darf kein Haftgrund sein!

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