des Stadtverordneten Hartmut Bohrer in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 20. Dezember 2023: „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Ostfeld"
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren,
wieder einmal steht die "SEM Ostfeld/Kalkofen" auf der Tagesordnung.
Anlass ist der jährlich fällige Sachstandsbericht einschließlich einer
Kosten- und Finanzierungsübersicht.
Die Linke Stadtverordnetenfraktion hat in all den Jahren, in denen wir
uns mit dieser "städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme" beschäftigen,
unmissverständlich erklärt, dass wir die mit der SEM beabsichtigte
Bebauung eines Landschaftsschutzgebietes und die Vernichtung
wertvoller Acker- und Grünflächen ablehnen.
Im Vordergrund steht dabei der Schutz vor allem der Bevölkerung in
den angrenzenden und den am Rhein liegenden Stadtteilen, die durch
die Vernichtung von rund 100 Hektar betroffen sind, auf denen auch in
zunehmend heißeren Sommernächten Kaltluft entsteht und den bereits
bebauten Gebieten zugeführt wird.
Aber auch der Artenschutz und der notwendige Erhalt von Flächen für
die regionale Lebensmittelproduktion sind Gründe für unsere Ablehnung
der SEM. In den zurückliegenden Jahren wurden wir durch die
mittlerweile reichlich vorhandenen wissenschaftlichen
Veröffentlichungen zu diesen Aspekten in unserer Haltung bestärkt und
können nur feststellen: Diese SEM ist völlig aus der Zeit gefallen, sie ist
einem Wachstumswahn verfallen, der angesichts der ökologischen und
ökonomischen Situation als völlig überholt anzusehen ist.
Da wir mit der Sitzungsvorlage eine aktualisierte Kosten- und
Finanzierungsübersicht zur Kenntnis nehmen sollen, möchte ich mich
im Weiteren auf diese konzentrieren, insbesondere auf dem Hintergrund
der finanziellen Situation Stadt, wie sie sich aktuell und für die Zukunft
absehbar darstellt.
Die als "KoFi" bezeichnete Schätzung der mit der Maßnahme
verbundenen Kosten und Konsequenzen zur Finanzierung zeigt selbst
ein zunehmend größeres Defizit für die Stadtkasse, das durch die
Durchführung der SEM entsteht. Wurde dieses Defizit 2020 noch mit 72 Millionen € und 2022 mit 113 Millionen € geschätzt, geht die aktuelle
Schätzung jetzt von 188 Millionen € aus. Dabei wurde das zu erwartende
Defizit rechnerisch verkleinert, in dem notwendige schulische
Kapazitäten herausgerechnet wurden. So werden die zusätzlichen
schulischen Kapazitäten nur noch für den Besuch eines Gymnasiums
und einer IGS berücksichtigt. Der Bedarf an Plätzen in Realschulen und
Hauptschulen wurde herausgerechnet. Ebenso die Kosten für die
Infrastruktur der Abwasserbeseitigung, die man jetzt über
entsprechende Gebühren finanzieren will. Auch wird in der KoFi von einer Baukostensteigerung von 2 ¼ % ausgegangen. Laut Landesamt für Statistik beträgt sie aber mittlerweile mindestens 14%.
Noch dramatischer ist aber die Tatsache, dass die geforderte
Schienenanbindung mit Ausnahme der Haltestellen überhaupt nicht in
die KoFi eingeht. Eine Bahnanbindung zwischen dem Halt Wiesbaden
Ost und Erbenheim, die das Gewerbegebiet Petersweg und die
"Ostfeld"-Bebauung um das Fort Biehler verbindet, würde sicher alleine
einen dreistelligen Millionenbetrag in Euro kosten. Solch eine
Bahnstrecke müsste zwei Autobahnen queren mit den entsprechenden
ingenieurtechnischen Investitionen.
Obwohl diese Schienenanbindung zur Voraussetzung für eine Bebauung
festgelegt wurde, liegt bis heute hierfür noch nicht mal eine Planung vor.
Auch die Frage, inwieweit neben dem Militärflugplatz Erbenheim eine
Bebauung überhaupt zulässig und machbar ist, ist bis heute ungeklärt.
Dabei wird wohl niemand bestreiten, dass der Flugplatz des
Hauptquartiers der US-Armee für Europa, Afrika und Teile Asiens
zunehmend an Bedeutung gewinnt und eine Auflösung des
Hauptquartiers in Wiesbaden-Erbenheim in absehbarer Zeit wohl kaum
erfolgen wird. Auch wird die SEM mit mehreren, voraussichtlich
aussichtsreichen Klagen angegriffen.
Dennoch wird seitens der Stadt das SEM-Gebiet beplant, werden mit
Millionenbeträgen Grundstückskäufe, Planungen und Werbekampagnen
finanziert – und das in einer Situation, in der aufgrund der städtischen
Haushaltslage viele nützliche soziale, ökologische und kulturelle
Leistungen eingeschränkt oder in Frage gestellt sind.
Das gebetsmühlenartig vorgetragene Argument, man wolle und müsse
am Fort Biehler Sozialwohnungen schaffen, soll den ökologischen und
ökonomischen Irrsinn rechtfertigen. Zum Thema Bedarf an bezahlbaren
Wohnungen werden wir deshalb auch etwas sagen. An dieser Stelle sei
nur gesagt: Das geplante und kleingerechnete Defizit durch die SEM
wird der Stadt nicht nur das Geld für die Schaffung bezahlbarer
Wohnungen rauben. Ich danke für die Aufmerksamkeit.