Redebeitrag

der Stadtverordneten Brigitte Forßbohm  in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 21. März 2024 zum Thema: “Würdigung der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter”:

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, sehr geehrte Damen und Herren, werte Gäste,

 

Unter Punkt 1 des Antrages steht kurz und bündig, dass die Stadt Wiesbaden die Lebensleistung der Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen anerkennen möge. Das ist eine wichtige Aufforderung in Zeiten, wo Teile der Bevölkerung und leider auch bestimmte Politiker*innen der Meinung sind, dass Zugewanderte nichts anderes im Sinn hätten, als sich in Deutschland auf dem Polster von – in der Fantasie überhöhten, in der Realität jedoch spärlichen Sozialleistungen ausruhen zu wollen. Selbst finanziell bestens gestellte Spitzenpolitiker– ich gendere hier mal nicht –, meinen, mit Migrant*innen um Zahnarzttermine konkurrieren zu müssen. 

 

Der Antrag führt uns zurück in die Zeit der Anwerbeabkommen von 1955 bis 1973 als ausländische Arbeitskräfte, vorwiegend aus den Mittelmeerländern, angeworben wurden, denn der Arbeitskräftemangel, bedrohte das deutsche "Wirtschaftswunder". Fehlende Arbeitskräfte, das war auch eine Folge des 2. Weltkriegs. Die Zahl der Ausländer*innen stieg daraufhin in Deutschland durch Zuwanderung von knapp 700.000 im Jahr 1961 auf ca. 4 Mio. im Jahr 1973. 

Diese Entwicklung zeigte sich auch in Wiesbaden. Auch hier war eine prosperierende Industrie auf Zuwanderung angewiesen. Die in Wiesbaden lebenden Migrant*innen kommen heute aus insgesamt 173 verschiedenen Ländern. Die größte Gruppe stammt aber aus der Türkei. Sie geht auf die Zeit der "Gastarbeiter*innen" zurück.

 

Der Begriff "Gastarbeiter" weist schon darauf hin, wie man Zuwanderung damals verstand, nämlich als Arbeitskräfte auf Zeit, die, wie Gäste es üblicherweise tun, irgendwann auch wieder gehen. Es kamen Menschen aus der Türkei, aus Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Jugoslawien, die hier aber ihren Lebenszusammenhang fanden, indem sie die wirtschaftliche Entwicklung tatkräftig unterstützten, uns kulturelle Vielfalt brachten und – blieben.

 

Die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter haben maßgeblich zur wirtschaftlichen Dynamik und zum kulturellen Reichtum Wiesbadens beigetragen, was ihre Anerkennung und Würdigung in der politischen Diskussion rechtfertigt, heißt es im Antrag.

 

Wiesbaden war die erste deutsche Stadt, die dem Rechnung trug, indem sie 1972 einen Ausländerbeirat ins Leben rief, der am 1. März desselben Jahres zum ersten Mal tagte. Es ist eine gute Idee, diesen Tag mit kulturellen Aktivitäten als Tag der Erinnerung zu würdigen.

 

Im Ergänzungsantrag der Kooperation werden unter den Punkten 3 und 4 weitere Vorschläge zur Würdigung der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter gemacht. Was die Benennung von Straßen und Plätzen betrifft, so richtet sich diese Anregung an die Ortsbeiräte. Nun hat die räumliche Konzentration von Migrant*innen innerhalb des Stadtgebiets zwar abgenommen, dennoch sind bestimmt Stadträume zu finden, die bis heute von den "Gastarbeitern" der ersten Stunde, ihrer Kultur und Religion, geprägt wurden.

 

Auch ein Gastarbeiterdenkmal ist eine schöne Idee, die beispielsweise in Frankfurt am Main schon lange diskutiert wird und nun in der Gestaltung einer U-Bahn-Station verwirklicht werden soll. Entsprechende Denkmäler für Arbeitsemigranten gibt es schon in den Herkunftsländern, beispielsweise auf Sizilien. So ließen sich auch kulturelle Kontexte herstellen.

 

Zum Schluss will ich nochmal betonen, was auch für heutige Einwander*innen gilt: Ein gesichertes Aufenthaltsrecht ist eine wesentliche Voraussetzung für eine langfristige Lebensperspektive. Je besser die rechtliche Absicherung, desto besser sind die Chancen am öffentlichen und am Arbeitsleben teilzuhaben, die eigenen Interessen wahrzunehmen. Ende des Jahres 2022 hatten zwei Drittel der in Wiesbaden lebenden Ausländerinnen und Ausländer einen sicheren Aufenthaltsstatus. Das ist gut so, zeigt aber auch, was noch getan werden muss.

 

Bitte stimmen Sie dem Antrag des Ausländerbeirats und dem Ergänzungsantrag der Kooperation zu.

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